Vorweg: Wie muss das für Eltern sein, deren Kinder schon aus dem Alter der Trotzphase herausgewachsen sind – können die sich noch an die Zeit des Brüllens erinnern oder ist sie schon vergessen?
Der Muck entdeckt gerade viele neue Dinge an sich UND an uns. Er spricht und spricht; sehr zu unserem Vergnügen, und er brüllt: Wenn ihm etwas GEfällt, aber auch – und das ist viel intensiver: Wenn ihm etwas MISSfällt. Er ist ein echtes Brülläffchen geworden. Ständig grummelt er herum und wird laut (gemeine Zungen würden jetzt behaupten: Typisch Mann!) und er zelebriert – schon in Rage gebrüllt – den schnellen Beinchen-Tanz dazu. Mit auf den Boden werfen und die ganze Nummer. Manchmal strampelt er so stark, dass ich ihn nicht länger auf dem Arm halten kann und ihn absetzen muss. Dann haut er sich theatralisch hin oder kugelt sich hin und her – oder er macht alles zusammen (bitte das Schreien dazu nicht vergessen). Es muss auch nicht viel passieren, damit er so wütend wird; er ist ziemlich zart besaitet. Ein „Bitte klettere jetzt nicht im Auto herum, sondern setz‘ Dich hin, damit wir losfahren können!“ reicht aus. Bumsfallera. Als erstes kommt dann die Schüppchenlippe und danach der schnelle Beinchen-Tanz, der unweigerlich den Rest wie oben beschrieben einläutet. Ein unterhaltsames Spektakel, das uns hier und da schon ein heimliches Grinsen entlockt hat…
So haben wir alle aber auch schon ein paar Male die Nerven verloren (außer dem Muck eigentlich nur ich). Nicht, dass mir sein Verhalten peinlich wäre – aber jeeeeden Tag diese Diskussion um das Hinsetzen im Auto! Seit Wochen! NIE will er auf seinen Sitz! Und wir steigen ca. 3 Mal am Tag ins Auto… Ich biete ihm schon von vorneherein Abbis Sitz an oder habe eine kleine Tüte Bestechungs-Gunnebäärssen in der Tasche, oder, oder oder.. aber Monsieur preferiert die Hampelei – auf der armen Mama IHR SEINE Nerrrven! Und das garantiert immer mittags, wenn wir losmüssen, um Abbi aus dem Kindergarten abzuholen. Ich gewähre ihm ja gerne seine 5 Minuten, schon tausendmal geschehen – dann darf er auf die Vordersitze klettern, fummeln, gucken und zurückkraxeln, aber immer geht das eben nicht und immer habe ich auch keine Lust dazu! Ich bin eben auch nur ein Mensch; trotz Muttersein immer, immer!
Diese außerordentlichen Wutanfälle sind aber selten. Gestern war es allerdings soweit, ein Deluxe-Anfall: Ich hatte ihn mittags bei der tollsten Tagesmutter geweckt und wollte weiter, um Abbi abzuholen. Wir waren gut in der Zeit. Aber er war noch nicht so richtig wach geworden und verdaddelte daher unseren ritualistischen Abschiedssong. Wir sangen, er glubschte nur vor sich hin. Hm; sonst ist er immer ganz vorne mit dabei. Dann kam die Schüppchenlippe. Ich bemerkte es schon während des Singens und animierte ihn, doch mitzumachen. Nnä! Es war zu spät: Mit einem Mal warf er sich von meinem Schoß auf den Boden. Gesicht nach unten. Schluchzen. Was tun? Der Arme war so traurig und mir war klar, dass das keine einfache Sachen werden würde.
Mein Maßnahmenkatalog:
1.: Beruhigen. Streicheln. Oh! Gar nicht gut.
2.: Fragen, was ihn wütend macht. Keine Antwort. Schluchzen.
3.: Die Vermutung äußern, dass es der verpasste Song war? Brüllen…
4.: Ok, es WAR der Song. Ihn noch einmal anstimmen. Ganz verkehrt.
5.: Den Muck lassen und wie gewohnt die Sachen zusammensuchen und langsam aufbrechen. Beständiges Brüllen.
6.: Ablenken mit seinem Lieblingsbuch…? Brüllen.
7.: Ihn bitten, mitzukommen und daran erinnern, dass wir Abbi inzwischen dringend abholen müssen. Mehr verkehrt, mehr Brüllen.
8.: Erpressung: Schokolade & Gummibärchen anbieten. Nixnix gut. Nix gut?!?
9.: Etwas strenger äußern, dass er jetzt mitkommen soll. Entsetztes Gucken, danach mehr Brüllen.
10.: Einsehen, dass nichts hilft. Abbi muss trotzdem abgeholt werden – JETZT.
11.: Ihn daher schnappen, wie er ist (in T-Shirt und Windel), und zum Auto tragen.
12.: Erster Stopp nach 2 Treppenstufen: Der schnelle Beinchen-Tanz. Absetzen und ruhig bleiben. Das Schreien im Treppenhaus ignorieren und das zappelnde Bündel wieder hochnehmen.
13: Am Auto den zaghaften Versuch unternehmen, ihn in seinen Sitz zu setzen. Hahaa, nix da. Also weiter weinen lassen und warten.
Leute gehen staunend vorbei, nicken verständnisvoll oder gucken komisch. Egal. Kurz beschäftigt mich, dass wir nun zu spät zum Kindergarten kommen werden. Seit 2 Jahren komme ich pünktlich. Heute darf ich bestimmt mal zu spät kommen (?) – geht nicht anders. Muckens Welt ist gerade so richtig aus den Fugen geraten und er steht schluchzend im Auto. Ich knie vor der geöffneten Türe und lasse ihn brüllen und seinen Finger abkauen. Manchmal beuge ich mich zu ihm rein und sage ihm, dass es ok ist, dass er so traurig ist und dass er sich geärgert hat. Das scheint irgendwann anzukommen. Ich sage ihm, dass ich das verstehe und ihn trotzdem lieb habe. Da nimmt er die verbeulten Finger aus dem Mund und guckt mich an. (Umarmung).
Dann war es irgendwann gut. Nach 20 Minuten Alarm. Er war ziemlich k.o. Ich war ziemlich k.o. Aber die Gummibärchen gingen dann doch und plötzlich war er wieder auf dem Damm. Wir kamen ganz gemütlich 7 Minuten zu spät zum Kindergarten, was zum Glück kein Drama war. Er japste noch etwas, war aber sichtlich erleichtert und gelöst.
Und ICH erst! Ich war noch lange berührt davon. Und stolz. Auf ihn, dass er sich getraut hat, sich so auszuleben, und ich war froh, dass ich das so gut aushalten konnte. Es gibt ja natürlich auch die Momente, in denen ich ihn aus Mangel an Geduld oder Nerven unter Protest in den Sitz drücke und einfach anschnalle. Dann habe ich allerdings auch das Gebrüll und ein schlechtes Gefühl dazu. Ich fühle mich dann ehrlich gewalttätig, weil ich mich so über seinen Willen hinwegsetze. Aber immer kann ich den Launen der Muckligen nicht nachgeben; es zehrt schon sehr an meinem Nervenkostüm. Manchmal habe ich keine 5 Einsteige oder sonstige -Minuten zur Verfügung! Und so ein Gebrüll stört ja tatsächlich auch mal andere Leute; die Kirche sollte also im Dorf bleiben. Wenn man den goldenen Mittel-Ausweg für diese Momente findet, ist es ok.
Letztes Wochenende gab der Muck sein lieblichstes Gebrüll viele Minuten lang im Garten zum Besten. Wir wussten ihn nicht zu beruhigen, da ließen wir ihn irgendwann einfach brüllen. In der Nachbarschaft hat das aber doch jemanden sehr gestört; „Ruhe jetzt!“ hallte es über die Dächer. Auch nicht die feine englische Art, aber es nervte eben. Ruhig wurde er trotzdem nicht, also nahm ich ihn mit rein. (Ist schon klar, dass die da nie zu uns zum Grillen kommen werden?!).
Hm. Bisher ist ein Wutanfall in dieser Intensität nicht wieder vorgekommen, aber wenn, weiß ich, was zu tun ist: Maßnahme 1-13 – vielleicht mal rückwärts? Und dazu: Einfach bei ihm bleiben, schätze ich. Auf eine gute, wütende Zeit.