Auf der Seite zwetschgenmann.de läuft die Blogparade „Als ich 10 war„. Erst dachte ich, jooa. Dann fielen mir immer mehr Dinge ein, die bei mir los waren, als ich 10 war… ein super Thema! Man kann gar nicht anders, als persönlich werden… mit diesem Artikel könnt Ihr mich also ein gutes Stück besser kennen lernen. (Ob das von Vorteil ist?!)
Wir schreiben das Jahr 1987; da wurde ich 10 Jahre alt.
Ich wollte ein Junge sein
In meiner Kindheit habe ich mir recht lange gewünscht ein Junge zu sein. Mit meinen ratzeputze kurzen Haaren sah ich so aus wie einer und man hielt mich auch für einen. Nix vorpubertäres Mädchengehabe, keine Brust, kein Po – ich war spindeldürr. Auch Klamotten spielten bei mir noch gar keine Rolle – meistens trug ich die gebrauchten Sachen meiner großen Cousinen auf; das waren bedruckte Sweatshirts und 0815 Jeans oder Jogginganzüge! Mein Schuhwerk waren ausschließlich Turnschuhe oder sportliche Lederstiefel; mit Schuhen war ich schon immer eigen. Auf einem Straßenfest bin ich sogar mal von einem Trainer angesprochen worden, ob ich Lust hätte, bei denen im Fußballverein mitzuspielen. Klar hatte ich Lust; hab ich auch gemacht. So lange, bis klar war, dass ich ein Mädchen war. Da war’s mit dem Fußballspielen schon wieder vorbei. Adieu Profikarriere, Du warst mir vergönnt.
Mein engster Freundeskreis bestand damals hauptsächlich aus dem Nachbarsjungen, den ich quasi seit meiner Geburt kenne, dessen jüngerem Bruder und natürlich meinem jüngeren Bruder! Wir waren wirklich nette Kinder. Mein Bruder und ich haben immer zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Die Freundschaft mit anderen Mädchen entwickelte sich gerade erst (vor allem mit Einer: Meiner geliebten H.; Du bist mir bis heute erhalten geblieben und ich vermisse und liebe Dich bis ans andere Ende der Welt!). Mädchen sein bedeutete für mich generell schwächer zu sein; eigentlich hatte es für mich nur Nachteile: Trotz ausgeprägter Sport Affinität waren die Jungs meist schneller, konnten weiter springen, Mädchen hatten Puppen, mit denen ich nichts anfangen konnte.. und das schlimmste: Mädchen hatten (damals wie heute auch noch) keinen Penis. Das hat genervt! Wir waren ja ständig draußen – bauten irgendwas aus Ästen, kauten diese grüne Weltall-Brause, die im Mund so lärmend knisterte und prickelte und dann zu Kaugummi wurde, wir radelten auf BMX Rädern oder Kettcars oder klauten Äpfel von den benachbarten Apfelplantagen (für den Eigenverzehr, bitteschön!). So verbrachten wir ganze Jahre. Der nicht vorhandene Penis war beim Wasserlassen doof; dafür ging man ja nicht rein! Die Jungs verschwanden mal eben hinters Gebüsch, ich musste komplett blankziehen und mit dem nackten Ärschle ab in die Hocke! Huff! Mein kleiner Bruder stand Schmiere, damit keiner das genante Herumgepiesele beglotzte, das Gras kitzelte am Po (oder die Brennesseln), und meistens überstanden es die Hosenbeine auch nicht vollkommen unberührt; alles nicht so schön. Ehrlich gesagt hatte ich ziemlich lange Penisneid. Ich war auch frech. Aber charmant! Trotzdem konnte ich ziemlich nerven. Unter anderem einen Teenager aus der Nachbarschaft, den wir Mädchen alle ziemlich toll fanden. Martin, dem habe ich – voll witzig!- immer die Schnürsenkel aufgezogen. Er drohte irgendwann damit, mir einen Eimer Wasser über den Kopf zu gießen, würde ich nicht damit aufhören. Natürlich hörte ich nicht auf. Der angedrohte Eimer Wasser wurde wahr und war eine Riesenaktion, die die ganze Kinderschar beklatschte. Ich war der begossene Pudel. Aber ich grinste, denn niemand außer mir wurde mit soviel Aufmerksamkeit von ihm beehrt! Eine Backpfeife holte ich mir auch ab, bei der Nachbarstochter 2 Häuser weiter. Sie, ca. 16, ihren ersten Freund an der Hand, war genervt von meinem kindlichen Gesang: ‚Ei, ei, ei, was seh‘ ich da…? Ein verliebtes Ehepaar…!‘ – den schmetterte ich nämlich an die 1.000 Mal und lief ihnen damit sogar hinterher… ich hab’s übertrieben, joa. Die Backpfeife hatte ich mehr als verdient; das habe ich damals schon eingesehen.
Dass Mädchen meistens schwächer sind als Jungs, aber wirklich viel schwächer sind als viel größere Jungs, das erfuhr ich an der Bushaltestelle auf dem Heimweg von der Schule. Mit 10 Jahren ging ich noch in die 4.Klasse der Grundschule und wenn wir zu zweit waren, also der gleichaltrige Nachbarsjunge und ich, dann durften wir alleine mit dem Linienbus nach Hause fahren. Mit uns zweien wartete einmal ein gelangweilter älterer Junge auf den Bus. Damals dachte ich er sei ein Riese, heute würde ich ihn auf 13-15 Jahre schätzen. Der Fiesling vertrieb sich die Zeit damit, uns beiden Kleineren zu schikanieren. Er drohte uns zu hauen, falls wir uns wehren würden und stopfte uns dann- wir in Schockstarre Verfallenen- seine Glasmurmeln in die Nasenlöcher. In jedes eine. Hat alles reingepasst. Dann kam der Bus. Wir rotzten die Kugeln wieder raus und stiegen wortlos ein. Seitdem fuhren wir nur noch mit der Bahn heim. Aber sonst war die Grundschulzeit Bombe. Ehrlich. Was für ein Luxus – schöne, geliebte Grundschulzeit! In 2-er Reihen aufstellen, zum Schwimmunterricht stapfen, Flötenspiel, erste Theater-Aufführung (ich war König Herodes…noch Fragen?!?), ich erlebte ansonsten eine unbeschwerte Grundschulzeit.
Das 1.Mal verliebt
Das mit dem Jungeseinwollen änderte sich, als ich das erste Mal verliebt war. In der 4. Klasse… er hieß Michael und ging in die Parallelklasse. Wir haben uns nie kennengelernt. Ich befürchte, er war auch in mich verliebt, (wie tragisch!) ansonsten kann ich mir sein komisches Verhalten nicht erklären. Wenn wir uns während der Pausen auf dem Schulhof gesehen haben, haben wir beide sofort die Flucht voreinander ergriffen. IMMER. Das muss irgendwann so dämlich gewesen sein, dass sich unser beider Klassenkameraden zusammengetan haben, uns schnappten und auf dem Schulhof Bauch an Bauch zusammendrängten. So standen wir widerwillig da; mit 40 johlenden Klassenkameraden ringsherum. Die Peinlichkeit der Situation war so groß, dass wir beide wie erstarrt dastanden. Mein Bruder kam mir aber zur Hilfe und konnte irgendwann erreichen, dass man wieder von uns abließ. Michael und ich stürmten sofort wieder davon. Hat also alles nix gebracht. Hach, und er trug einen Rucksack, auf den er mit schwarzem Edding die Namen all seiner Klassenkameraden geschrieben hatte. Mein Name stand auch da – obwohl ich nicht in seiner Klasse war und mein Name war als einziger rot… Als die Grundschulzeit rum war, verloren wir uns aus den Augen. Und da ich Michael gegenüber spröde, großkotzig, doof und kurz angebunden auftrat, wenn ich überhaupt mal mit ihm sprach, fand er mich sicher blöd. Zumindest dachte ich das, weil er mir gegenüber, falls er überhaupt mal mit mir sprach, spröde, großkotzig, doof und kurz angebunden war. Ich habe ihn dann immer mal wieder gesehen. Mal nach 4 Jahren, dann schon nach 2 Jahren – und jedes Mal wurde ich wieder zu genau diesem 10 Jahre alten Kind und trat die Flucht an. Er auch. Zum Glück habe ich meine Schüchternheit später in den Griff bekommen und genieße es jetzt, mich sogar mal länger mit meinem geliebten Herrn Lampenhügel unterhalten zu können; und das sogar, ohne sofort das Weite zu suchen.
Höhlenmensch vs. Fortschritt
Apropos Liebe: Unsere Eltern lebten uns keine Fernsehkultur vor (sie schauten ’nur‘ die Tagesschau und sehr ausgewählte Sendungen) und ich habe z.B. bis heute keine einzige Wetten-dass?! Sendung von vorne bis hinten geguckt!. Trotzdem konnten mein Bruder und ich abends mal heimlich den Film Cinderella gucken; mit Bonnie Bianco und Pierre Cosso… Gott, war der für damalige Verhältnisse süß… das waren die ersten, unschuldigen Mädchenschwärmereien. La Boum inhalierten wir auch; was habe ich Sophie Marceau für ihre sinnliche Weiblichkeit bewundert. Die Musik beider Filme wurde später unser Jugend-Soundtrack. Was aber Programm war: Die Vor-Weihnachtsserien auf dem ZDF: Unvergessen: Die Ballett-tanzende Anna (1987) und die isländischen Brüder Nonni und Manni, die auf ihren Isländerponys Abenteuer erlebten (1988). Auch hier: Mädchenträume wurden wahr. Was toll war: Neben dem urwäldlerischen Draußen-Dasein sind wir damals schon ‚mit der Technik‘ gegangen; also meine Eltern. Ganz fortschrittlich hatten wir schon einen PC!! Sogar schon mit Windows, wenn ich mich recht erinnere. Was sie damit machten, das entzog sich unseres Verständnisses, aber wir durften damit Spiele spielen. Und das taten wir natürlich; oft zu viert: Packman, Cat oder Skyfall wurden bis zum Erbrechen gedaddelt und sich immer vor der Kiste gestritten, wer als nächstes durfte.
Musik
1987 entdeckte ich etwas, das in meinem Leben immer wieder eine große Bedeutung haben würde: Die Musik. Zu Weihnachten schenkte mir mein Vater meine erste CD; Hits ’87. u2 mit ‚With or without you‘, Den Harrow mit ‚Don’t break my heart‘, Tina Charles ‚I love to love‘, John Farnham ‚You’re the voice‘ usw. begeisterten mich und waren für mich neue Klänge. Bisher kannte ich ’nur‘ schon einige Alben der Beatles und auch Klassik, da ich schon 3 Jahre – ganz klassisch klassisches Klavier spielte. Recht talentiert, dennoch faul. Geübt habe ich oft erst einen Tag vor der nächsten Klavierstunde; hat gereicht. Mit dem Klavierspielen verbinde ich auch das Vorspielen. Z.B. habe ich an Weihnachten entweder mit meinem Vater oder mit meiner Oma vierhändige Stücke gespielt. Damals war mir nicht klar, wie schön ich das später finden würde. Was mich aber belastet hat, waren die sog. Klavier-Vorspiele, die meine Lehrerin veranstaltete. 2 Mal im Jahr musste ich wie alle anderen ihrer Schüler auftreten; einzeln. Ich habe es gehasst. Ich litt so sehr unter Lampenfieber, dass ich schon 3 Tage vorher zitterte wie Espenlaub und laut meiner Maam ’nur so mit Giftpfeilen um mich schoss‘. Bei den Vorspielen war ich immer eine der letzten und doch hat man mir meine Aufregung kurioserweise nie angesehen. Auch das Zittern war wie von Geisterhand verschwunden, sobald ich am Klavier gesessen habe. Trotzdem. Meistens musste ich auch eine ‚Zugabe‘ spielen; gemeinsam mit meiner Lehrerin; na zumindest war das dann 4-händig und nicht mehr ganz so schlimm. Es hat bis auf kleine Verspieler hier und da immer alles geklappt, aber es graust mir auch heute noch davor. Oh je, da läuft’s mir grad wieder den Rücken runter.
Fucky Lucky (und die Allergie)
Lucky – so hieß unsere Katze. Nein, wir haben sie nicht so benannt; der Name wäre nicht unsere Wahl gewesen. Wir haben sie vorm Tierheim gerettet, als sie dorthin abgeschoben werden sollte. Unsere Eltern hatten wir bekniet, angebettelt, bestochen und beschworen, dass wir uns gut um sie kümmern würden. Und das haben wir auch. Lucky durfte letztendlich unsere Katze werden. Leider war sie durch schlechte Erfahrungen sehr verkorkst und hatte eigentlich nichts mehr mit dem gemeinen Wesen einer Hauskatze zu tun. Streicheln, schnurren, kuscheln und kraulen… nicht mit Lucky. Wenn sie einmal zu einem auf den Schoß kam, dann war das das höchste der Gefühle. Dann musste man in eine Starre verfallen, denn sonst fing man sich eine von ihr. Obwohl doch sie, das verkorkste Vieh, zu einem auf den Schoß gesprungen war und nicht andersrum! Man fing sich sowieso recht häufig eine von Lucky; zerkratzte Arme oder Narben im Gesicht waren normal. Sie war sogar hinterhältig und gefährlich! Wenn wir heimkamen, wartete sie oftmals hinter irgendeinem Gestrüpp und besprang uns fauchend! So wurde mit der Zeit aus Lucky… Fucky Lucky. Wir liebten sie dennoch. Sie war die schönste und authentischste Katze, die ich kenne. Im Sommer ging es mir leider immer besonders schlecht, denn ich war gegen Gott und die Welt allergisch: Gegen Pollen, Gräser, Getreide, Hausstaubmilben und leider auch gegen allerlei Tierhaare – also auch gegen Lucky. Asthma Anfälle, eine ständig laufende Heuschnupfennase, niesen und nochmal niesen, furchtbar juckende Augen – das hat mich sehr gerockt; manchmal konnte ich gar nichts mehr sehen, weil meine Augen so dick zugeschwollen waren. Aber Lucky blieb; na klar!
Und sonst…
Von politischen und wirtschaftlichen Ereignissen habe ich noch wenig Notiz genommen, so z.B. die versehentlich alte, wiederholte Neujahrsrede Rede von Kohl oder dass Honecker die BRD besucht hat. Was ich aber durch Gespräche meiner Eltern (und die Tagesschau) mitbekommen habe, ist z.B. der Tod von Uwe Barschel und die Landung von Mathias Rust auf dem roten Platz in Moskau! Die große Welt sollte mich allerdings erst später betreffen.
Alles in allem war diese Zeit noch sehr kindlich, die erste, bewusste Veränderung in meinem Leben kam mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule. Bis dahin lebte ich in einer kleinen fast heile-Welt Glocke und war ein recht frohes Schlüsselkind.
Toll geschrieben. Michael geht einem echt ans Herz.
LikeLike
Liebe Irina, vielen Dank für Deinen Kommentar; es freut mich sehr, dass Dich meine Geschichte ‚erreicht‘ hat! Das mit Michael habe ich irgendwann akzeptiert – es hat nicht sollen sein, denke ich.
LikeLike
Liebe Irina, ich danke Dir für Deinen Kommentar! Ja, Michael ging mir auch ans Herz.. es sollte wohl nicht sein, denke ich.
LikeLike
Wow, liebe Frau Lampenhügel, ich bin beeindruckt von den vielen Erinnerungen an dein zehnjähriges Ich. Du hast es ganz wunderbar geschrieben. Und erst der Michael! Ist das wirklich wahr? Das ist so schön. Pierre Cosso war meine erste große Liebe und ich hätte glatt mit Bonnie Bianco getauscht. Mein Meerschwein musste ich leider wegen selbiger Tierhaarallergie abgeben. Gegen die Katze, die ich mir nach dem Auszug aus dem Elternhaus anschaffte, habe ich mich dann später irgendwie selber desensibilisiert. Danke für deinen schönen Text!
LikeLike
Guten Abend liebe Katja, danke für Dein Lob, das tut gut 🙂
Der Michael… ja, der ist waschecht. Zuletzt habe ich ihn vor ca. 3 Jahren gesehen, als ich hochschwanger mit dem Schätzlein war. Komisch Ding!
Deinem Meerschweinchen hast Du sicher hinterhergetrauert… ich musste damals -auch wegen der Tierhaarallergie- mein Kaninchen wieder abgeben; schrecklich. Aber Du bist zu beglückwünschen; Du hast Dich selbst desensibilisiert, bravo!
…Nicht, dass das auch mit Mitmenschen funktioniert…?!
Liebe Grüße!
LikeLike
Ja, vielleicht klappt das auch mit Michael 😉
LikeLike
Aach, das passt schon. Ich würde sagen Hyposensibilisiert. Hyposensibilisiert ist das neue Desensibilisiert! Liebe Grüße.
LikeLike
Vielen Dank für’s Mitmachen und den Einblick in Dein Jahr 1987. Eine wunderbare Geschichte der ersten Liebe – und eine interessante Begründung, warum Du lieber ein Junge sein wolltest. Sehr pragmatisch.
Beste Grüße
Lutz
LikeGefällt 1 Person
Lieber Lutz,
vielen Dank für die Idee und Durchführung dieser wunderbaren Blogparade! Tja, die erste Liebe hätte besser laufen können, aber über das Mädchensein bin ich inzwischen doch recht froh.
Viele Grüße zurück!
LikeGefällt 1 Person