Rosa war mal Jungensache-das historische ‚kleine Rot‘ für den Mann. Ein rundum-Genderumschlag.
Jungs haben Puppen? Klar haben sie. Der Muck jedenfalls hat jetzt seine eigene Dudu. Keine ausgeliehene Puppe von der großen Schwester, keine geerbte – nein. Seine Dudu! Kennengelernt hat er Dudu bei der Tagesmutter. Da darf er immer mit Dudu einschlafen und daher wollten wir ihm die Freude machen, Dudu auch ‚zu uns nach Hause zu holen‘. Zielstrebig suchte er sich im Geschäft die gleiche dunkelhäutige und mit dem rosa-weißen Leibchen bekleidete Puppe aus. Seitdem schläft er mit Dudu ein. Ein kleiner geschichtlicher Ausflug in die Farben- und Geschlechterlehre.
Puppen sind Mädchenkram, denkt man doch. Jungs dürfen eher keine haben; genau so, wie sie besser keinen Nagellack ausprobieren oder Spängchen im Haar tragen sollten, nicht wahr? Wenn der Muck mal mit ein oder zwei rosafarbenen Fingernägeln beim Bäcker aufläuft, dann entlockt das manch Unbekannten schnell mal eine Bemerkung. Wenn Abbi allerdings mit einem Bagger herumläuft, juckt das die Leute gar nicht. Es fällt also viel eher auf, wenn Jungs Sachen machen oder Klamotten tragen, die nicht den allgemein gültigen Vorstellungen eines echten Kerls entsprechen, als wenn Mädchen ‚burschikos‘ sind. Wahnsinn; was das über die Gesellschaft aus? Die Jungs werden wohl ‚verweichlicht‘ oder es wird gefragt, ‚ob es ihm denn so jut tut?‘ (Achtung, kein Einzelfall!). Aber wer schreibt eigentlich vor, dass Jungs das und das dürfen und das und das nicht – und bei Mädchen genau so?
Die Frage nach der Gendersache beschäftigt uns immer wieder, weil es von außen hereindrängt und man sich der Frage kaum entziehen kann. Ich finde es total normal, dass meine Kinder alles ausprobieren wollen. Ist doch klar, dass er auch eine rosafarbene Kette tragen will, wenn seine große Schwester so ein funkelndes Ding trägt?!
Interessant ist auch die Frage, in wieweit die Kinder von uns Eltern beeinflusst werden; bewusst und auch unbewusst. Und wer außer uns sie noch beeinflusst? Die Tante in der Bücherei oder hinter der Käsetheke? Die Großeltern und Erzieherinnen in der Betreuung? Ja nicht nur zu hause, auch anderswo werden Verhaltensweisen von den Kindern gesehen; als solche erkannt und nachgeahmt. Oder sind unsere Vorlieben schon alle in uns drin, in unseren Genen und werden gar nicht anerzogen? Fragen, Fragen.
Ich gehe zurück in meine Kindheit:
Ich selbst war als Kind kein stereotypisches Mädchen; ich hatte kurze Haare und wollte ganz pragmatisch lieber ein Junge sein; die hatten es leichter, dachte ich immer. Zugegeben hatte ich auch Penisneid; darüber habe ich HIER schon einmal geschrieben. Trotzdem empfand ich mich als ganz normal! Ich hatte auch wenig typische Mädchensachen: Keine Barbies, Puppenhäuser waren mir zu rosa; bei mir gab’s Crash-Autos, Action Figuren von den Nachbarjungs, und ich konnte Einrad fahren. Meistens spielte ich eh draußen; da wäre der Penis wirklich von Vorteil gewesen (das ewige ins Gras hocken war nicht so dolle). Trotz meiner damaligen Jungs-Affinität bin ich aber zu einem recht possierlichen Mütterchen geworden, finde ich. Ich sehe daher keine Veranlassung, meine Kinder in diese Mädchen-Jungs-Sache hineinzudrängen. Trotzdem ist es sicher so, dass ich meinen Kindern unbewusst Dinge oder Einstellungen weitervermittele, ohne dass ich es überhaupt merke. Also z.B., wie ich über Dinge denke und darüber rede, wie ich Eigenschaften beurteile und so weiter. Kinder sind ja Meister im Imitieren und sie erkennen sehr wohl bejahendes oder auch verneinendes Verhalten, auch wenn es unausgesprochen bleibt.
Unsere aktuelle Rollenverteilung:
Weder Herr Lampenhügel noch ich leben unseren beiden Muckligen eine klassische Rollenverteilung vor. Angefangen bei der Kleidung, den Spielsachen, der Bettwäsche und den Nahrungsmitteln oder weiter mit den Tätigkeiten oder Fähigkeiten. Wir als Eltern waschen beide, kochen, putzen, räumen auf, fahren Auto, gehen zur Arbeit und so weiter und so weiter. Nur eines ist meistens dem Papa vorbehalten: Das Paparieren von Dingen. Das Schätzlein sagte neulich zu mir: Mama, das musst Du heile machen, das muss papariert werden. Aha?!? Hier im Hause Lampenhügel gibt’s immer etwas zum anschraubern oder aufzumöbeln, daher teilen wir uns oft so auf, dass ich die Kinder hüte, damit Herr Lampenhügel Dinge wieder ans Laufen bringen kann. Oft ist die Rollenverteilung in der Sache also klassisch; und dass, obwohl ich stolze Besitzerin eines gut ausgestatteten Bohrer- und Handwerkskoffers bin und natürlich auch mit den Maschinen umzugehen weiß! Frage: Aber reicht das für die Kinder aus, um sich selbst in einer klischeehaften Rollenverteilung zu wiederzufinden? Hm.
Achtung – Geschichte! Das kleine Rot: Rosa vs. blau
Zurück zu Dudu, dem rosa Leibchen und dem pinkfarbenen Schnuller: Früher, bis zum Anfang des 20- Jahrhunderts, war rot, die Signalfarbe, den Männern vorbehalten; Assoziation Blut, Kampf, Eros, usw. Rosa, „das kleine rot“, war daher folgerichtig den kleinen Jungen zugesprochen. Die heilige Jungfrau Maria trug die Farbe blau, blau war demnach die gängige Mädchenfarbe! Die Farbzuordnung der Geschlechter drehte sich erst später, Jahre nach dem ersten Weltkrieg: Blau wurde zunehmend als Farbe von Männerkleidung verwendet (Matrosenanzüge, Blaumann und Arbeitsanzüge…); daher fand auch in der weiten Bevölkerung ein langsames Umdenken statt und rosa wurde nicht mehr als männlich und stark empfunden, sondern als weich, zart und sogar schwach! Soviel zum Thema von wegen angeborener rosa-Fimmel bei uns Weibsen! Die Süddeutsche hat z.B. über dieses Thema geschrieben – hier.
Für mich sind rosa und blau 2 schöne Farben; die Kinder tragen beide beides. Ja, er HAT ein rosafarbenes T-Shirt und sie trägt sowieso blau, …mittel, dunkel usw. Ich empfinde blau nicht als jungstypisch. Abgesehen von den Farben ist, was die weitere Wahl der Klamotten angeht, auch oft schwierig, etwas zu finden, was unserem Geschmack entspricht: Mädchensachen zu shoppen, ist noch recht einfach; da kriegt man viel ohne Bärchen oder Häschen. Jungssachen, die wir schön finden, sind schon kniffliger: Viele Sachen sind braun-orange oder grün-blau gestreift und meistens sind Bagger, Autos, Züge oder Haifische aufgedruckt. Wir mögen es lieber schlicht und dezent; bei uns wie bei den Kindern. Das Schätzlein wählt ihre Klamotten jetzt aber schon mit Vorliebe selbst aus und sie hat ihre ganz eigene Vorstellung von schön… Natürlich hat sie auch das glitzernde, pinkfarbene Pferde-Shirt im Schrank, auf dem ‚miss you‘ steht; findet sie super. Ist aber ok! Sie darf das tragen. Ich unterstütze diese Vorliebe allerdings nicht; von MIR hat sie das nicht! Diese neuen Standards müssen also woanders herkommen… aus dem Kindergarten vielleicht?
Beeinflussung durch das Umfeld
Seit einiger Zeit hat Abbi einen Spleen: Ohne, dass sie wirklich wüsste, wer oder was das überhaupt ist, schwärmt sie von 2 sehr bekannten Disney-Königinnen aus dem Eis und möchte Schmuck, Kleidung und sogar Joghurts davon haben! Das muss sie bei den älteren Mädchen im Kindergarten aufgeschnappt haben; ich wüsste nicht, wo sonst… Jedenfalls wird dieses Bedürfnis der großen Mädchen 1 zu 1 von ihr kopiert; ich nehme an, weil sie dazugehören und mitreden möchte? Gruppenzwang! Es wird der Tag kommen, da kaufe ich diese 2 hübschen, aufgeblasenen Eisdamen, die mich dann bräsig und zuckersüß von ihrem T-Shirt anlächeln; na der Film soll wenigstens toll sein.
Keine Haare, keine Kleidchen -> kein Mädchen
In Berührung gekommen mit der Gendersache bin ich kurz nach der Geburt des Schätzleins – sie war ein zartes Baby und für mich als ihre Mama immer als Mädchen erkennbar, aber sie hatte – bis sie 1.5 Jahre alt war, kaum Haare auf dem Kopf. Die wenigen Haare waren auch noch weißblond und deshalb nicht gut zu sehen. Oft bin ich angesprochen worden: ‚Ooch, dat is aber ne nette Kerlschen (unangemeldeter Kniff in die Babywange)! Süüß da kleene Mann!‘. Dann habe ich den freundlichen Menschen noch aufgeklärt, dass das ein Mädchen ist. Irgendwann wurde ich müde darüber, habe es mit einem Lächeln hingenommen und mir gesagt: Klar! Keine Haare, kein rosa noch Kleidchen, logische Schlussfolgerung: Kein Mädchen! Es ist in der Tat so! Auch heute, da das Schätzlein inzwischen eine voluminösere Haarpracht aufweist, zwar noch immer kurz, ABER Haar (!), da wird sie weiter als Junge betitelt! Weil sie eben immer noch nicht in komplett rosa, Kleidchen oder Röckchen dahergeht und auch meistens keine Mädchenmerkmale wie z.B. Spängchen im Haar trägt.
Der Muck ist aber unverkennbar ein Junge. Den sieht man und weiß, dass es so ist; egal, ob er blau oder rosa trägt. Ein strammer Max. Was ich daher schon sagen kann: Unsere Tochter ist ein Mädchen und unser Sohn ein Kerl. Er rauft, stolpert unkontrolliert, fällt ständig und verletzt sich, sie ist besonnen, spielt gerade am liebsten mit ihren Puppen, überschätzt sich nie und gibt in Streitsituationen eher nach als alles auszukämpfen. Wir verhalten uns beiden gegenüber so gleich es nur geht – also liegt das unterschiedliche Verhalten doch nicht an unserer Erziehung!? Man kann natürlich sagen, dass das keine typisch-geschlechtlichen Verhaltensweisen sind sondern vielmehr Charaktereigenschaften, aber das glaube ich nur bedingt.
Fazit:
Der so genannte goldene Mittelweg ist glaube ich der richtige, ist er meistens: Von allem etwas, nicht zu viel zu viel oder viel zu wenig. Ich verbiete kein rosa noch Glitzer, ich fördere es aber auch nicht oder lebe es meinen Kindern vor. Sie sollen sich ruhig ausprobieren! Klar darf Dudu auch mit zum Einkaufen; und tja, Abbi Flodder ist inzwischen halt häufiger mal unterwegs. Ich denke, dass die Kinder schon einiges in ihren Genen tragen, aber dass man ihre Bedürfnisse auch in gewisse Bahnen lenken und unterstützen, oder eben nicht unterstützen kann. So, Dudu hat den Muck gerade mal wieder geweckt; schon das 2.Mal heute…. diese aufmüpfigen, kleinen Dinger; was haben wir uns da ins Haus geholt?!
PS: Ach ja – die zarte Abbi möchte zu Karneval übrigens Cowboy werden. Das ist ganz nach meinem Geschmack – ich besorge mal Klebebärtchen.